Krautrock trifft auf New Wave: Kratzen aus Köln üben sich in der Kunst der Reduktion und schaffen ein tranceartiges Soundgemälde
von Sven Weiss
Eine Mischung aus Kraut und Wave ergibt – logisch! – Krautwave. Diese Bezeichnung haben Kratzen für ihre Musik geprägt, und es ist ja auch immer ganz lustig, wenn man sich sein eigenes Genre bastelt. Tatsächlich trifft der Begriff ziemlich gut, was den Hörer auf dem mittlerweile dritten Album der Kölner Band erwartet. So verschmelzen im Sound von Kratzen die repetitiven Strukturen des Krautrock mit der kühlen Ästhetik und den rhythmischen Gitarren des New Wave. Die Gesangslinien erinnern immer wieder an Sonic Youth. Auch an Tocotronic kann man denken, ca. „Pure Vernunft darf niemals siegen“. Und natürlich an die frühen Jahre der Neuen Deutschen Welle.
Strikte Regeln zur radikalen Beschränkung
Der Reiz der Musik entsteht dabei aus der Beschränkung. Ein Trick, der in der Kunst ja schon diverse Male funktioniert hat. Man denke an Maler wie Mark Rothko und Yves Klein, an Schriftsteller wie Ernest Hemingway oder die Minimal Music von Steve Reich. Auch Kratzen haben sich diverse Bandregeln auferlegt, mit denen sie ihre Kunst radikal beschränken und dadurch erst zu ihrer wahren Blüte bringen:
1. Das Schlagzeug wirbelt nicht.
2. Keine Soli.
3. Die Texte erzählen keine Geschichten.
Bei Kratzen steht niemand vorne. Instrumente und Gesänge wechseln. Wer was macht, entscheidet die Musik des Zufalls. Ein Joy-Division-artiger Achtel-Bass bildet meist das Fundament der Songs. Die Gitarre legt ein paar kratzige Akkorde darauf oder achtelt einfach mit. Dazu noch gerne ein paar mit reichlich Delay versehenen Gitarren-Plinkereien. Der Sound, der dabei entsteht, entwickelt schnell einen angenehmen Sog. Es gibt ja keine Brüche, keine Dramatik.
Eine tranceartige Soundkulisse von Kratzen
Einzelne Songs herauszuheben, ist deshalb fast unmöglich. Sicher, da sind die Singles „Vielleicht, „Reichtum“ und „Nichts und alles“. Aber das Album, von Star-Produzent Olaf Opal (The Notwist, Naked Lunch, Klee u.a.) in Form gegossen, genießt man am besten als Ganzes. Auch die Texte, die ja bewusst keine Geschichten erzählen sollen, bieten wenig Greifbares. Sie klingen fast wie eine Aneinanderreihung beliebiger Satzfragmente. Doch gerade ihre Sloganhaftigkeit ergänzt die tranceartige Soundkulisse ideal. Und viele der Zeilen bleiben dann doch hängen, wie etwa „Du ahnst schon, da darf jetzt nichts mehr kommen / Hinter dem Horizont liegt unser Ziel“ oder „Du denkst es geht, doch es ist längst zu spät“.
So lässt man sich von den Songs davontragen, und irgendwie ist das Album gefühlt sehr schnell zu Ende. Was ein gutes Zeichen ist, vor allem, da der Finger schon zuckt, um auf „Repeat“ zu klicken.
Das Album „III“ von Kratzen erscheint am 17.01.2025 und ist u.a. bei Bandcamp und in ausgewählten Läden erhältlich. (Beitragsbild von Celina Palenda)